Zwischen 2000 und 2015 haben sich die weltweiten Kleidungskäufe verdoppelt. Einer der Gründe? Fast Fashion! Gab es früher zwei bis vier Kollektionen im Jahr, beliefern Modemarken ihre Filialen mittlerweile mehrmals im Monat. Welche Auswirkungen das wirklich hat, erfährst du hier – wir nehmen die Arbeitsbedingungen der Fast Fashion Branche unter die Lupe.
Inhaltsverzeichnis
Löhne: Gerade genug zum Überleben
T-Shirts für fünf Euro oder Jeans für zehn Euro: Die Fast Fashion Preise im Laden lassen uns längst ahnen, wie viel Geld bei den Näher*innen hängenbleibt – ein genauerer Blick fördert trotzdem Unglaubliches zutage.
Kostet ein Kleidungsstück 4,99 Euro, gehen davon…
- 2,10 Euro an das Unternehmen (Gewinn)
- 0,65 Euro ins Marketing
- 0,79 Euro zum Finanzamt (Steuern)
- 0,82 Euro in die Fabrik (Gewinn)
- 0,40 Euro in die Materialkosten
- 0,06 Euro in den Transport
- 0,13 Euro an die Mitarbeitenden (Lohn)
Kurz: Die Löhne machen es den Näher*innen gerade so eben möglich, irgendwie zu überleben. Vorausgesetzt, sie schieben Überstunden. Denn selbst wer das Glück hat, den Mindestlohn zu erhalten, kommt kaum über die Runden – zwischen Mindestlohn und dem Geld, was für die Grundbedürfnisse gebraucht wird, klafft meistens eine große Lücke.
So liegt der gesetzliche Mindestlohn in Sri Lanka beispielsweise bei 79 Euro. Um Existenzen zu sichern, müsste er sich fast vervierfachen – auf 296 Euro. Der geringste Lohn bei einer Befragung lag übrigens bei 73 Euro. Inklusive Überstunden kamen die Näher*innen auf 117 Euro.
Weitere Beispiele, die zeigen, wie wichtig es ist, dass wir Fast Fashion endlich den Rücken zukehren:
Mindestlohn | Existenzlohn | |
Bulgarien | 202 € | 1026 € |
Türkei | 281 € | 897 € |
Indien | 116,64 € | 331,83 € |
Bangladesh | 79,32 € | 478,71 € |
Kambodscha | 153,12 € | 494,68 € |
Indonesien | 90,93 € | 419,37 € |
Arbeitszeiten: Unbezahlte Überstunden & Schichten bis in den frühen Morgen
Ohne Überstunden geht es nicht – bei einer Befragung gaben 82 % an, mehr als zehn Überstunden pro Woche zu leisten. Gesetzliche Obergrenzen gibt es zwar, diese werden jedoch regelmäßig überschritten. Der Clou: Nach acht Stunden stempeln sich die Näher*innen für die Buchhaltung aus – und arbeiten fortan ohne Überstundenzuschlag.
Nicht immer werden die zusätzlichen Stunden jedoch „freiwillig“ geleistet. Gibt ein Modeunternehmen serielle Maßanfertigungen in Auftrag, erwartet es oftmals vierzehn bis sechzehn Arbeitsstunden pro Tag und Mitarbeiter*in.
Manchmal werden diese dann sogar verpflichtet, bis zwei oder drei Uhr morgens hinter der Nähmaschine zu sitzen – um am Ende des Monats mit ein paar Euro in der Tasche heimzukehren.
Sicherheit: Wenn die Arbeit zum Gesundheitsrisiko wird
Zwölf bis sechzehn Arbeitsstunden pro Tag zeigen bereits, an welcher Stelle die Sicherheit der Mitarbeitenden steht – mit nachlassender Konzentration steigt schließlich die Verletzungsgefahr.
Wie katastrophal die Ausmaße sind, wurde spätestens 2013 bei dem Gebäudeeinsturz einer Textilfabrik in Bangladesch klar. Obwohl sich am Vortag bereits Risse durch die Mauern zogen, mussten die Angestellten ihre Arbeit fortsetzen und Kleidung für Primark, Mango, C&A, KiK oder Adler herstellen.
Zum Zeitpunkt des Unglücks befanden sich über 5000 Mitarbeitende in der Textilwerkstatt – 1126 starben, 2000 wurden verletzt. Seitdem haben Industrie und Regierung die Sicherheitsstandards in Bangladesh zwar erhöht – allerdings steht der Preiskampf weiterhin globalen Verbesserungen im Weg.
Aber nicht nur die Gebäude sind ein Sicherheitsrisiko. Ebenfalls problematisch: Der direkte Kontakt mit toxischen Substanzen wie zum Beispiel:
- Alkyphenole: Kommen während des Färbens zum Einsatz und können in den Hormonhaushalt eingreifen
- Phthalate: Weichmacher, die unter anderem für Kunstleder oder Farbstoffe genutzt werden
- bromierte und chlorierte Flammschutzmittel: Dienen dem Brandschutz, reichern sich allerdings in der Umwelt an und können die Entwicklung der Geschlechtsorgane schädigen
- Azofarben: Lösen bei Hautkontakt ggf. Krebs aus
- zinnorganische Verbindungen: Biozid und Antipilzmittel, das in Socken, Schuhen und Sportklamotten dem Schweißgeruch entgegenwirkt. Kann Immunsystem und Fortpflanzungsfähigkeit schädigen
- Schwermetalle: Kommen in Farbstoffen und Pigmenten vor. Bei Körperkontakt können sie sich anreichern und Organen sowie dem zentralen Nervensystem schaden
Während wir als Verbraucher*innen durch Grenzwerte und EU-Regeln geschützt werden, erfolgt der direkte Umgang mit den Chemikalien meistens ohne spezielle Kleidung. Die Folge: unheilbare Krankheiten.
Als wäre das alles nicht genug, lassen sich in der Fast Fashion Branche sehr häufig Verletzungen, Arbeitsunfälle, Brände und emotionale sowie körperliche Misshandlung beobachten.
Umwelt: Verseuchte Flüsse & Böden
6500 verschiedene Chemikalien stecken in einem Kleidungsstück aus Bangladesh – viele davon sind giftig oder krebserregend. Um die EU-Richtlinien zu erfüllen, müssen sie sorgfältig aus den Textilien gewaschen werden, sodass die Verbraucher*innen nicht ahnen, welche Substanzen für ihre Klamotten zum Einsatz gekommen sind.
Aber wohin mit dem verunreinigten Wasser? Die meisten Fabriken entsorgen es ungefiltert in den Flüssen. Hier verschmutzt es Trinkwasser, löscht jegliches Leben in den Gewässern aus, reichert sich in den Böden an – und fließt irgendwann ins Meer, wo weitere Schäden für Umwelt und Mensch drohen.
Kurz: Fast Fashion gefährdet nicht nur die Gesundheit der Angestellten. Das Problem ist viel weitreichender und belastet ganze Regionen.
Kinderarbeit: Nähen statt lernen
Alleine in Asien – weltweiter Hauptexporteur für Stoffe jeglicher Art – arbeiten 62 Millionen Kinder in der Textilbranche. Viele davon betreten die Fabriken vor ihrem zwölfen Lebensjahr. Die Folgen? Verletzungen wie Schnittwunden, fehlende Finger, Haltungsschäden oder Atemwegserkrankungen – und Schulabbrüche. Eine Untersuchung von Save the Children offenbart:
- in Bangladesh brechen 17 Prozent der arbeitenden Kinder unter 15 Jahren die Schule ab
- in Myanmar sind es 20 Prozent
- ein weiteres Drittel ist noch nie zur Schule gegangen
Besonders tragisch: Bleibt Kindern die Bildung verwehrt, sinkt das Risiko, jemals aus dem Armutskreislauf auszubrechen.
Organisation: Gewerkschaften? Fehlanzeige!
Die Arbeitsbedingungen sind Grund genug, sich zusammenzuschließen und für Verbesserungen einzutreten. Das Problem: Gewerkschaften und damit auch die Forderungen nach höheren Löhnen oder einem sicheren Arbeitsumfeld werden im Keim erstickt. Wer hier schuftet, ist den Schikanen also schutzlos ausgeliefert – ohne Hoffnung auf bessere Zeiten.
Für eine Textilindustrie im Einklang mit Umwelt & Menschenrechten: 4 Lösungsansätze
Niemand von uns möchte, dass Kinder unsere Kleidung nähen oder in den Fabriken gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen herrschen. Aber was können wir dagegen tun? Mindestens vier Dinge!
- keine Fast Fashion kaufen: Die günstigen Preise mögen verführerisch sein – doch wenn möglich, verzichte lieber auf Kleidung von Primark und Co. Eine tolle und genauso preiswerte Alternative: Klamotten aus zweiter Hand!
- auf Siegel achten: Label wie FWF (Fear Wear Foundation) und Naturtextil IVN Best fordern besonders hohe Kriterien – viele chemische Substanzen sind verboten, in den Produktionsstätten müssen die Sozialstandards der ILO eingehalten und Überstunden streng kontrolliert werden. Kurz: Diese Kleidungsstücke kannst du ohne schlechtes Gewissen kaufen!
- mit Freund*innen sprechen: Bewusstsein allein mag das Problem nicht lösen, ist allerdings ein guter Anfang. Scheue deswegen nicht davor zurück, dich mit Freund*innen und der Familie über die Missstände in der Fast Fashion Industrie zu unterhalten.
- Mode bewusst genießen: Einer Greenpeace-Umfrage zufolge sammeln sich in den deutschen Schränken eine Milliarde ungetragene (!) Klamotten – trotzdem kaufen wir jedes Jahr 60 weitere Kleidungsstücke. Wer seine T-Shirts und Hosen wertschätzt; sie lange trägt und nur kauft, was er*sie wirklich braucht, macht bereits vieles richtig.
Fazit: Hast du deinen Kleidungskonsum schonmal hinterfragt?
Vor dem Urlaub einen neuen Bikini kaufen oder ein Kleid für den anstehenden Geburtstag – obwohl fünf davon bereits im Schrank hängen: Mit der Fast Fashion Bewegung hat unser Kleidungskonsum bedenkliche Formen angenommen.
Ja, T-Shirts für ein paar Euro mögen verführerisch sein. Weil die wahren Kosten am anderen Ende des Planeten gezahlt werden, hoffen wir trotzdem, dass sich möglichst viele Menschen fragen, ob das wirklich nötig ist – und anschließend lieber zu Fear Wear oder 2nd-Hand-Kleidung greifen.
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